KOLLOQUIA Triesen

I. Wissenschaftliche Notwendigkeit

Die jährlich stattfindende Tagung „KOLLOQUIA Triesen“ versteht sich als interdisziplinäres Diskussionsforum für wissenschaftstheoretische Fragen in den Sozialwissenschaften, also insbesondere in der Soziologie, der Politologie, der Volkswirtschaftslehre, der Rechtswissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Erziehungswissenschaft. Der Grund für diese Ausrichtung besteht – erstens – darin, dass die Wissenschaftstheorie das methodologische Fundament der Sozialwissenschaften bildet und sich daher massiv auf deren Ergebnisse auswirkt. Auf wissenschaftstheoretischer Ebene werden die Begründungsmuster und Argumentationsstrategien festgelegt, mit denen eine sozialwissenschaftliche Disziplin ihre Erkenntnisse erzielt, mit denen sie also Theoriebildung betreibt. Hier geht es etwa um Fragen der Begriffsbildung, um die methodische Relevanz modell-, system- und handlungstheoretischer Auffassungen, aber insbesondere auch um die Frage nach dem Ob und Inwiefern der Berücksichtigung sowohl empirischer (einschließlich historischer) Erkenntnisse als auch philosophischer (apriorischer) Grundhaltungen und Prinzipien. Gerade das methodische Verhältnis zwischen Empirie und Philosophie ist, im Vergleich zu den Naturwissenschaften, in den Sozialwissenschaften deshalb besonders umstritten, weil der Erkenntnisgegenstand „Gesellschaft“ nicht zuletzt auch die Frage nach dem Wert – und damit: der Bewertung – des gesellschaftlichen Status quo aufwirft. Die Wissenschaftstheorie hat sich daher ebenfalls mit der schwierigen und sehr kontrovers diskutierten Frage auseinanderzusetzen, inwieweit solche normativen Aussagen (sozial-)wissenschaftlich möglich sind. Die wissenschaftstheoretische Ausrichtung der „KOLLOQUIA Triesen“ ist – zweitens – auch und vor allem deshalb notwendig, weil das Bewusstsein um den Einfluss wissenschaftstheoretischer Überzeugungen auf die Art und Weise der Erkenntnisstiftung in den Sozialwissenschaften mehr und mehr verloren zu gehen droht. Die Ursache dafür besteht vor allem in der ständig voranschreitenden Spezialisierung in den Sozialwissenschaften, die nicht nur die Sozialwissenschaften untereinander betrifft, sondern auch einzelne Fächer innerhalb einer sozialwissenschaftlichen Disziplin. Die Spezialisierung wird häufig mit dem Wunsch nach Autonomie kombiniert, und zwar insbesondere auch gegenüber der Philosophie in ihrer Eigenschaft als allgemeiner Erkenntnis- und damit Wissenschaftstheorie. Dementsprechend gehen diese Spezialisierungs- und Autonomisierungstendenzen nicht selten mit einer undifferenzierten Theoriefeindlichkeit einher, die alles „Theoretische“ oder gar „Philosophische“ pauschal als beliebig und damit überflüssig, wenn nicht sogar als per se ideologisch aufgeladen hinstellt. Dabei besteht zumindest die Gefahr, dass die Abhängigkeit sozialwissenschaftlicher Methoden von bestimmten philosophischen bzw. metaphysischen Überzeugungen aus dem Blick gerät. Was dann auch aus dem Blick geraten kann, sind alternative Lösungsmöglichkeiten. Die wissenschaftstheoretische Schwerpunktbildung liefert – drittens – die Begründung für die interdisziplinäre Ausrichtung der „KOLLOQUIA Triesen“. Die interdisziplinäre Diskussion wissenschaftstheoretischer Probleme ist deshalb notwendig, weil – wie die beispielhafte Aufzählung im ersten Absatz zeigt – von diesen Fragestellungen meist mehrere, mitunter sogar alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen betroffen sind. Gerade die interdisziplinäre Diskussion wird daher zahlreiche neue Perspektiven und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Die Tagung kann dann eine wichtige wissenschaftliche, aber damit auch gesellschaftliche Funktion erfüllen.

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